keckecast #89
Adam McKay
Es beginnt wie ein Katastrophenfilm, denn es ist ein Katastrophenfilm. Eine irgendwie spezielle junge Forscherin springt von ihrem Stuhl auf, rechnet ungläubig alles nochmal nach und informiert ihren zerzauselten Chef, der seinerseits NASA, NSA und das Weiße Haus herbeitelefoniert. Botschaft: Das Ding aus dem All, das in sechs Monaten und 14 Tagen die Erde treffen wird, ist groß. Sehr groß.
So weit. So vertraut. Doch spätestens in Minute 14 dieses Netflix-Films dämmert es dem Zuschauenden, dass er es mit mehr zu tun hat als einem handelsüblichen Disaster Movie. Denn in diesem Film sind die Menschen die Katastrophe.
Da stolziert eine Sarah-Palin-Version einer Präsidentin über die Flure des Weißen Hauses, leider ohne Zeit, sich mit dem Weltuntergang zu beschäftigen. Ein Geburtstagsständchen geht vor. Da gerät der nichtsahnende Professor, Fachmann für tote Galaxien, in die Fänge einer Medienkrake, die im Minutentakt neue Hypes, Buzzwords, Next Big Things und Breaking News braucht, um am Leben zu bleiben. Da ist die zynische Fernsehfrau, die es spannend findet, den Professor zum Popstar dieses Armageddon zu machen und es irgendwie vermag, das Ende der Welt Welt charmant zwischen dem Aus einer Promi-Ehe und der Wetterkarte zu verstecken. 6 Monate sind doch ziemlich lange warum also nicht erstmal weitermachen?? Da ist der grimmig blickende Cornell, der zum Aufbessern seines Solds Gratis-Sandwiches an wartende Gäste vor dem Oval Office vertickt. Und da ist die junge Entdeckerin und Namensgeberin des Meteoriten, die als einzig Normale im Ensemble des Wahnsinns an der Wirklichkeit zu zerbrechen droht.
„Don´t look up“, „Schau nicht nach oben“, heißt diese bitterböse Satire auf die Postmoderne, auf den nicht versiegenden Strom der Blödheit, der sich in gelernten Bahnen und Ritualen minütlich über die westliche Welt ergießt. Adam McKay hat ihn gemacht.
Mit Leonardo di Caprio als Professor, Jennifer Lawrence als Forscherin, Meryl Streep als Präsidentin und Cate Blanchet als Fernsehtussi hat er vier waschechte Oscar-Preisträger zur Hand und macht daraus den vielleicht besten Film des Jahres 2021. Weil er unsere Realität bis zum Schmerzpunkt verlängert.
Dabei ist nicht einmal die Grundannahme dieses Meisterwerks – dicker Brocken stürzt auf Erde - erfunden. Es findet statt, Tag für Tag, seit Milliarden Jahren.
Asteroiden sind bis zu 1000 Kilometer groß und umrunden die Sonne ordentlich auf Umlaufbahnen. Meteoriten aber sind kleiner und dann uns wann büxt einer aus. 19.000mal pro Jahr kommt das statistisch gesehen vor, dann stürzt ein Gestein auf die Erde zu, das meist eine Reise hinter sich hat, die schon 100.000 Jahre lang andauert.
Nicht immer passiert das so spektakulär wie vor rund 66 Millionen Jahren, als ein Brocken den 180 Kilometer breiten Chicxulub-Krater vor Yukatan hinterließ und damit die Ära der Dinosaurier beendete. Es passiert quasi dauernd und hinterlässt seine Spuren. Ob beim bis heute ungelösten Ereignis von Tunguska in der sibirischen Taiga 1908, der biblischen Geschichte von der Zerstörung Sodoms und Gomorras, beim Nördlinger Ries in Schwaben oder dem in Vredefort–Krater in Südafrika.
Es entsteht etwas Neues. So wie vor 4,5 Milliarden Jahren, als ein ganzer Protoplanet von der Größe des Mars mit der Erde kollidierte. Daran werden wir noch heute Nacht für Nacht erinnert. Denn aus den Trümmern dieses Zusammenpralls entstand der Mond.
Schon vor 2,23 Milliarden Jahren kam einer vorbei, beendete eine Jahrmillionen währende Eiszeit und hinterließ in den Eismassen über Australien einen schicken Krater von 70 Kilometer Durchmesser. Der possierliche Name dieses Ortes lautet Yarrabubba. Die Schweizer dagegen suchen bis heute nach dem Meteoriten, der den Kanton Wallis am 29. November 2021 traf. Kein Wunder, denn er ist nur 500 Grammschwer und so groß wie eine Apfelsine.
Und auch für 2022 dürfen wir Einschläge erwarten. So wie am 6. Mai, morgens um 9:13. Mit 93.600 Kilometern pro Stunde rast der 13 Meter breite 2009JF1 in Richtung blauer Planet und fliegt knapp vorbei. Wahrscheinlichkeit des Aufschlags: 1 zu 3.984. Dont look up – schau nicht nach oben.
#89
Staffel: 4
Veröffentlicht: 23. Februar 2022
Länge: 07:24
Text: Carsten Schwecke
Musik: Frank Sinatra, M83
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