keckecast #101

Rafik Schami


Damaskus ist keine Stadt, kein Fleck auf einem Atlas. Sondern ein Märchen, das sich in Häuser und Gassen, Geschichten, Gerüche und Gerüchte kleidet. Und jeder , ob Muslim, Jude oder Christ, ob Katholik oder Grieche, hat seine eigenen Gesetze. Strenge Gesetze. 


1946 ist Suheil Fadel in Damaskus geboren worden, von ihm stammen diese Worte über seine geliebte, und doch so ferne Heimatstadt. Nachdem es für seine Schriften und eine politische Wandzeitung Ärger gab, ist er ausgewandert. Seit den 1970er Jahren lebt Suheil in Deutschland, hat hier zu Ende studiert und promoviert und ist ein berühmter Mann geworden. Die deutsche Sprache hat er hier gelernt und nur zehn Jahre später sein erstes Buch veröffentlicht, unter dem Namen Rafik Schami.


In „Die dunkle Seite der Liebe“, seiner preisgekrönten Erzählung, taucht er tief in die syrische Seele ein, in die Mitte des 20. Jahrhunderts, in der nach einer nicht enden wollenden Serie von Militärputschen, immer neuen Machthabern, einer Staatsallianz mit Ägypten und der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus die Saat für das Land gelegt wird, das wir heute mit Krieg, Flucht und Elend verbinden.

Rafik Schami erzählt eine Art syrische Version von Romeo und Julia, die Geschichte der Liebenden Rana und Farid, die aus zwei Familien stammen, die sich auch ihres Glaubens wegen bis aufs Blut bekämpfen.

Er schreibt: „Ein Grieche war es, der Damaskus geprägt hat. Hipodamus von Milet. Er hatte die Stadt in strenge rechtwinkelige Quartiere mit großen Paradestraßen aufgeteilt. Die Griechen liebten gerade Linien, die Araber dagegen den Bogen, die Krümmung. Vielleicht hing dies mit ihren ermüdend geraden Reisen durch die Wüste zusammen. Krümmung verkürzt, zumindest für den Blick, die Entfernung Manche sagen, Leben hat mit Bögen zu tun. Der Olivenzweig biegt sich unter der Last seiner Früchte. Der Bauch schwangerer Frau ist ein Bogen und die Zweige einer Palme bilden eine Rundung. Gradlinig ist nur der Tod.“

Dem Liebespaar gelingt am Ende die Flucht nach Deutschland. Heidelberg, wo auch Rafik Schami damals der Neuanfang glückte. Zurück bleibt ein Damaszener Kommissar, der dem dunklen Treiben der Clanfamilien auf die Schliche kam. Dessen Ermittlungsakten vernichtet werden, weil es die Staatsführung so will. Und der zur Strafe, zum Grenzsoldaten degradiert, weit weg von der Hauptstadt geschickt wird.

40 Jahre später steht Kommissar Barudi, zurück in Damaskus, im Mittelpunkt eines weiteren Buches von Rafik Schami. Der Mord an einem Kardinal und dessen §geheime Mission“ im syrischen Bergland wird sein letzter Fall werden. Und wie schon 40 Jahre zuvor dient die Kriminalhandlung nur vordergründig. Eigentlich vermittelt Schami die Schönheit, Würde und das ganze Drama dieses Volkes, und verarbeitet zahlreiche eigene biografische Spuren. Das Land das neben dem christlichen „Beten und Arbeiten“ auch die muslimischen Tugenden lebt, zum Beispiel die Gastfreundschaft. Er beschreibt ein Land, das einen einzigartigen Reichtum in sich trägt, wenn nur die Politik nicht wäre.


Zuweilen blitzt in der Figur Barudis der hintergründige Autor selbst auf, der großen Geschichtenerzähler mit dem feinsinnigen Humor.


Etwa, als der Kommissar das Buch spielt im Jahr 2011, zu einer Reise in die Berge aufbricht. Vom Bus aus entdeckt er Dinge, die er sonst immer übersah.

„Barudi staunte über die vielen Denkmäler, die großen Reliefs an den Häuserfassaden, die gigantischen Fotos des Herrschers. Als wäre der Präsident ein Maler, Kalligraf und Bildhauer und die Stadt wäre sein Atelier. Die Gemälde und Fotos seiner Person waren manchmal bis zu sieben Stockwerke hoch. Tausende solcher Denkmäler und Plakate gab es im ganzen Land. Es ist seltsam, dachte Barudi, man macht das Radio an und hörte den Präsidenten. Man macht den Fernseher an und seht den Präsidenten. Und wenn man alles ausschaltet, um in den Himmel zu sehen, dann zieht ein kleines Flugzeug einen 30 Meter langen Spruch des Präsidenten durch die Luft. Die Titelseiten der Zeitungen und Zeitschriften klatschen dem Leser dessen grinsendes Bild ins Gesicht, noch bevor er seinen Morgenkaffee genossen hat. Will man sich in ein Buch flüchten, versperrt der Autor gleich zu Beginn den Fluchtweg, der erste Satz ist eine lange Widmung an den Präsidenten. Wohin man sieht und hört: der Präsident. Wo bleibt Syrien? Wo bleibt dieses kultivierte alte Volk? Nur Ruinen und alte archäologische Forschungen weisen darauf hin, dass dieses Volk wunderschöne Paläste, Tempel, Amphitheater und Bäder geschaffen hat. Gibt es dieses großartige Volk heute noch? Sind das diese armseligen Menschen, die durch die Straßen rennen, als wären sie Ameisen? Aber hat man jemals Ameisen gesehen, die das Bild einer einzelnen Ameise hochhalten? Gehören wir Menschen unter einer Diktatur also zu einer Gattung, die noch primitiver ist als die Ameisen?“ 


Eine der vielen feinen Beschreibungen eines geliebten, zerrütteten Landes von Suheil Fadel, der sich Rafik Schami nennt, Rafik Schami bedeutet auf Deutsch: Der Freund aus Damaskus.   

#101

Staffel: 5

Veröffentlicht: 6. Juni 2022

Länge: 07:56

Text: Carsten Schwecke

Musik: Susumu Yakota, Gustavo Santaolalla



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