keckecast #86
Nicolas Hayek
Eigentlich könnte alles „guät“ sein bei den Schweizer Uhrmachern. Seit mehr als einem halben Jahrhundert sind sie die Nummer 1 auf dem Weltmarkt. Marktanteil bei mechanischen Uhren: 95 Prozent. Marken wie Rolex oder Tissot, Omega, Heuer oder Cartier stehen für Noblesse und Präzision. Wenn nur dieser eine Tag nicht gekommen wäre. Danach wird auf einen Schlag alles anders sein. Es ist der 25. Dezember 1969.
Dass wir überhaupt an unserem Handgelenk ablesen, was das Stündlein geschlagen hat, haben wir den Briten zu verdanken. Armbanduhren gab es schon ein bisschen länger, durchsetzen wollten sie sich aber nicht. Noch am Ende des 19. Jahrhunderts wird die Uhr in einer Tasche spazieren getragen, mit einer Kette gesichert, und hervorgeholt, um sie abzulesen.
Wie so oft in der Geschichte der Zivilisation ist es das Militär, das dies ändert. Beim Feldzug im südlichen Afrika dämmert den britische Soldaten, dass es praktischer wäre, die Uhrzeit direkt am Arm abzulesen. Anstatt sie aus einem Täschchen hervorzukramen, bevor zur vereinbarten Zeit synchron angegriffen wird.
Die Schweizer Uhrenindustrie ist da schon auf gutem Wege. Unternehmer wie Carter oder Heuer bauen Uhren, deren Funktionsweise bis heute so einfach wie komplex ist.
Denn im Zentrum einer mechanischen Uhr steht eine Feder, die so lange aufgezogen wird, bis sie ihre Energie an ein Räderwerk ableitet. Damit sie dies möglichst gleichmäßig und ohne große Sprünge verrichtet, gibt es im Uhrwerk ein Bauteil das Unruhe heißt. Zeiger, Anzeigen, Messnadeln werden von diesem Uhrwerk angetrieben, bis der Feder die Energie ausgeht.
Um das Aufziehen einer Uhr alle 30-40 Stunden zu umgehen, bauen bald die ersten Manufakturen Rotoren ein, die die Feder konstant nachdrehen: Die Automatikuhr ist geboren Und auch sonst versuchen die Eidgenossen Allerlei. In den 1920er Jahren zum Beispiel macht sich Rolex bereits an wasserdichte Gehäuse, die man zur Demonstration einer Dame an den Arm bindet, die plant, den Ärmelkanal zu durchschwimmen.
Nach den Weltkriegen werden Zeitmesser mehr und mehr auch zu Statussymbolen, Kultobjekten, befeuert durch Filmeikonen wie Steve McQueen. Die ganze Welt liebt Schweizer Uhren und die Schweizer Uhrenwelt liebt sich. Da kann schon einmal aus dem Blick geraten, dass man auf der anderen Seite der Welt auch Ideen hat.
Denn fast zeitgleich zu den Schweizern haben sich auch die Japaner auf den Weg gemacht, hochwertige Chronographen zu bauen Schon 1881 hat die Familie Hattori das Unternehmen Seiko gegründet. Und genau das sorgt am 25. Dezember 1969 für einen Schock, von dem sich die Eidgenossen lange nicht erholen werden.
An diesem Tag stellt Seiko in Tokio das Modell Astron vor, die erste Quarzuhr der Welt. Darin ist kein mechanisches Werk verbaut, sondern es sind Quarzkristalle eingelassen, die wie die Zellen eines Herzens von einem elektrischen Impuls in den Gleichklang gebracht werden. Dieser Impuls kommt von einer kleinen Batterie und sorgt dafür, dass die Quarzuhr nicht nur viel präziser als eine mechanische Uhr ist, sondern auch leichter und flacher. Daran hatten die Schweizer zwar auch getüftelt, die Japaner aber waren schneller.
Die Schweizer-Uhrenindustrie, tragende Säule der eidgenössischen Wirtschaft neben Schokolade, Käse und Pillen, gerät in eine existenzielle Krise. So schwer, dass sie in Schweizer Schulen bis heute als „die Quarz-Krise“ gelehrt wird.
Zehntausende verlieren ihre Jobs, in kurzer Zeit reduziert sich die Zahl der Schweizer Uhrenhersteller von 3000 auf gerade noch 600. Die Ölkrise und der erstarkte ranken geben einer ganzen Branche den Rest. Japanische und US-amerikanische Hersteller übernehmen die Weltmarktführung, in ihren Quarzmodellen verbauen sie nun auch LED und LCD-Displays. Sogar James Bond trägt jetzt eine Seiko. Der Schweizer Staat versucht z retten was zu retten ist. Fertigungsstufen werden zusammengelegt, Zahnräder für alle Hersteller gemeinsam produziert. Da tritt ein Mann auf den Plan, der Radikales vorhat.
Nicolas Hayek, geheuert als Strategieberater für die ganze Zunft, empfiehlt, dass Fertigung und Vorstufen der Schweizer Edelmarken zusammengelegt werden, damit die sich auf Marketing und Vertrieb konzentrieren können. Und er plant den Schweizerischen Einstieg in die Welt der Quarzuhren. Die 1980er Jahren werden das Zeitalter seiner Erfindung, das Zeitalter von Swatch.
Mit den poppig-kultigen Plastikuhren kann sich die Schweizer Industrie wieder berappen, während die mechanischen Uhren von Rolex, Pattek Philippe oder Tissot immer mehr in den Olymp der unbezahlbaren Luxusgüter vordringen. Heute gehören nahezu alle großen Uhrenmarken aus der Schweiz drei großen Konzernen. Ob Certina der Rado, Omega oder Tissot, Longines oder Glashütte – sie alle haben sich unter das Dach der Swatch Group gerettet
Nachdem Nicolas Hayek den Schweizern ihre Uhrenindustrie für die Neuzeit gerüstet hat, setzt er übrigens an, noch einer anderen verschlafenen Branche auf die Beine zu helfen. In den 1990er Jahren entwickelt er gemeinsam mit Mercedes-Benz ein Automobil, das belächelt wird, weil es kein Statussymbol ist, wirtschaftlich, leicht und wendig. Die großen Benzinschleudern verschwinden vielleicht irgendwann, der Smart, seine Idee, wird bleiben.
#86
Staffel: 4
Veröffentlicht: 25. Januar 2022
Länge: 08:07
Text: Carsten Schwecke
Musik: Abel Korzeniowski, David Bowie & Queen
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