keckecast #102
Arne Jacobsen
Wenn er eine Streichholzschachtel in Händen hält und sie flach auf den Tisch legt, so wird sie zu einer Schule in Hamburg. Wenn er sie dreht und auf der schmalen Kante aufrichtet, dann ist sie seine legendäre Appartmentanlage Bellavista. Stellt er sie aber aufrecht, so wird die Schachtel eines der ersten Hochhäuser in Kopenhagen überhaupt. Das Konzept seiner Architektur mag einfach sein. Aber drinnen verbirgt sich ein Universum der Moderne.
Arne Jacobsen wird am 11. Februar 1902 in Kopenhagen geboren. Alles an seiner Kindheit fühlt sich gutbürgerlich an. Sein Vater Kaufmann, seine Mutter Bankangestellte. Doch schon die piefigen Tapeten im Kinderzimmer stören den jungen Arne, kurzerhand reißt er sie von der Wand. Seine andere Leidenschaft in Kindheitstagen gilt der Natur. Stundenlang kann er sich damit beschäftigen, Flora und Fauna in Skizzen festzuhalten. Es wird einen Punkt in seinem Leben geben, an dem die Erinnerung daran zurückkommt.
Doch zuerst steht Handfesteres an. Erst lässt er sich zum Steinmetz ausbilden, dann will er bauen. Mies von der Rohe, Le Corbusier, das sind Ende der 1920er Jahre die Protagonisten eines neuen Verständnisses von Form und Ästhetik. Und Arne eifert ihnen nach, ein paar Parktore hier, ein Pavillon dort.
Sein Durchbruch kommt 1929. Sein „Haus der Zukunft“ für einen Wettbewerb ist kreisrund und hat einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach. Arne hat weiter gedacht als alle anderen. Bis hin zu aus Stahlrohr geformten Möbeln, weil ihm alle Stühle, die man kaufen könnte, nicht futuristisch genug erscheinen.
Mit eigenem Architekturstudio fließen jetzt auch die Aufträge. Bei seinem „Bellavista“-Komplex hat jeder Balkon den gleichen Lichteinfall. Bei seinem „Bellevue“-Theater sind die Sitzreihen in Wellen angeordnet. Auf dem Weg in die dänische Moderne kommt die Welt nicht hinterher. Die Stühle, die Lampen, die Schriften, die Jacobsen, ein Pedant und genauer Arbeiter, zur Innengestaltung seiner Bauten sucht, sind noch nicht erfunden. Da muss er es selbst machen, und baut ab den 1940er auch Möbel und Leuchten, die bei Fritz Hansen und später Louis Poulsen in Serie gehen.
In den 1950er Jahren bekommt er einen Auftrag, bei dem ihm sofort klar wird, dass er hier einen Tempel der Moderne schaffen soll. Mitten im Kopenhagen, ein paar Meter hinter dem Hauptbahnhof, soll er für die SAS das Royal Hotel errichten.
Die hochgestellte Streichholzschachtel begeistert die Kopenhagener zunächst nur wenig. Wenn im Sommer die Fenster offen stehen, sieht es aus wie eine Lochkarte, spotten sie. Drinnen ist zu besichtigen, wie sich die Modere anfühlt. Und wie es ist, wenn ein kleiner dänischer Junge seine Erinnerung an die organischen Formen in der Natur wieder aufleben lässt.
Schon in der Lobby stehen zwei Sessel die zu Ikonen des Möbelbaus werden. „Svanen“, „Der Schwan“ und „Egget“, „Das Ei“ werden stilprägend für das Nachkriegsdesign. Beleuchtet wird die Szenerie von hoch aufragenden Bogenlampen, die bis heute zu kaufen sind.
Im Speisesaal tafelt man auf Stühlen namens „Giraffe“, auch ein paar Modelle seiner bereits erfolgreich in Serie produzierten Stühle namens „Ameise“ oder „Serie 7“ stehen dort. Serviert wird auf Tellern, die er kreiert hat. Gegessen wird mit einem von ihm gestalteten Besteck, das so ikonisch ist, dass Stanley Kubrick es für sein Science-Fiction-Epos „2001“ benutzt.
Jedes Detail, Möbel, Wandbeläge Textilien, Metallwaren, des 1960 eröffneten Hotelbaus, hat er erfunden. Und damit einen Modernismus, der zu diesem Zeitpunkt in der Welt seinesgleichen sucht.
Danach folgen Lampen für Poulsen, eine Metallserie für Stelton, Bestecke und Badezimmerarmaturen. Das klassisch Dänische – hochwertige Handwerkskunst, die Reinheit des Materials, elegante Strukturen - bereichert er um plastische, organische Facetten.
Bis heute gibt es in Kopenhagens SAS Royal Hotel eine Suite, die seinen Namen trägt. Hier hat er umgesetzt, wie aus seiner Sicht das ideale Ineinanderfließen von Farbe und Material von Planung und Handwerk aussieht. Es ist die Arne Jacobsen Suite, Zimmer 606.
#102
Staffel: 5
Veröffentlicht: 16. Juni 2022
Länge: 07:12
Text: Carsten Schwecke
Musik: Johann Johannsson, Tori Amos
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