keckecast #39
Champagner (2)
Es vergehen ein paar Tausend Jahre bis zu diesem Wintermorgen im Jahr 1669.
Pierre ist Benediktinermönch und hat einen neuen Job. In seinem Kloster, Hautvillers, ist er der Cellarar. Also der Mönch, der für das leibliche Wohl der Brüder, vor allem für die Vorräte an Speisen und Getränken, zuständig ist. Hier, ganz in der Nähe der Kathedrale, in der die französischen Könige gekrönt werden, sind die Winter bitterkalt. Und da es an diesem Morgen etwas milder geworden ist, will er sich nach den Weinvorräten umsehen. Er steigt die steile Stiege hinab und traut seinen Augen nicht.
Pierre steht auf Scherben. Von den 600 Flaschen, die sie im Herbst eingelagert hatten zur Gärung, ist nur ein Bruch-Teil übrig. Die französischen Weinflaschen, die über Holzöfen gezogen werden, sind zu dünn und aufgeplatzt. Die kalten Temperaturen hatten den Prozess unterbrochen. Jetzt, da es wieder wärmer wird, kommt er wieder in Gang und das hat das Glas zum Bersten gebracht. Und die Flaschen, die übrig sind, haben Luft abbekommen, denn dicht sind sie nicht. Verschlossen sind sie mit Stofffetzen. Pierre muss den ordentlichen Korken erst noch erfinden.
Auch eine Kostprobe des versehrten Weines löst keine Freude aus. Er ist seltsam perlig, hat Kohlensäure gebildet und ist – so sagt der Cellarar seinen Brüdern – absolut ungenießbar. Wohin also damit? Da trifft es sich gut, dass die benachbarten Tuchhändler eine Idee haben. „Die Engländer“, schon damals leidenschaftliche Feinde der Franzosen, „die trinken doch alles“. Und so kommt es, dass die ungenießbare Plörre in diesem Frühjahr am Hof Charles II. landen. Und tatsächlich. Umgefüllt in stabilere Flaschen und dargereicht in kleinen Schälchen, wird der klösterliche Ausschussware zum Modegetränk. Bald schon kommt eine Nachbestellung, und dann eine nach der anderen. Schnell gibt man dem Betriebsunfall einen Namen - den der Region, aus der er stammt: Champagner.
Und ein paar Jahrzehnte später ist der perlige Wein an allen Höfen Europas außerordentlich populär.
Pierre hat die Zeit genutzt. Er hat die Assemblage erfunden, also die Zusammenstellung verschiedener Rebsorten zu einer Mischung. Er hat stabilere Flaschen besorgt. Und ein Gardemaß dafür festgelegt: 0,7 Liter. Denn so viel, sagt Pierre, trinke ein ausgewachsener Mann, zum Abendessen.
Er hat die Klöster in der Umgebung mit der Idee angesteckt. Und die Textilhändler. Und als er 1715 stirbt, ist er ein ganz großer geworden, weil er einen Wirtschaftszweig erfunden hat, und hat einen Ehrentitel. Pierre Perignon, genannt, Dom Perignon.
Einen befreundeten Mönch hat er auch mit seiner Idee angesteckt. Und dessen Bruder, auch er ein Tuchhändler. Und der gründet 1729 das erste Champagnerhaus. Nachdem der König es offiziell erlaubt hat, Wein nicht mehr nur in Fässern zu transportieren. Sondern – ganz neu – auch in Flaschen. Es ist ein gewisser Nicolas Ruinart.
Schon 100 Jahre zuvor haben die Engländer die Flaschengärung entdeckt. Indem sie Zucker zusetzten. Und Hefe. Doch es ist eine französische Madame, die das Verfahren perfektioniert, wie man die Hefe wieder aus der Flasche herausbekommt. Sie heißt Madame Veuve Cliquot. Und auch ein gewisser Moet taucht auf, der Madame Pompadour und andere Mätressen bei Hofe mit dem köstlichen Gesöff versorgt. Und das macht ihn so reich, dass später sogar das Kloster kauft, in dem alles begann: Hautvillers.
Noch im 19. Jahrhundert ist Champagner das Getränk der Stunde an den europäischen Königshäusern. Da bekommt ein Champagnerhaus, Louis Roederer, der übrigens auch aus der Wollbranche kommt, einen Spezialauftrag aus dem Osten. Zar Nikolaus I. mag zwar den Perlwein, misstraut aber den dunklen, bauchigen Flaschen. Was, wenn darin eines Tages nicht mehr Schaumwein, sondern eine Bombe steckt? Also beauftragt er Roederer mit der Produktion eines Champagners in einer durchsichtigen Flasche, den es bis heute gibt. Sein Name ist: Krystall. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges auch für Bürgerliche käuflich, wenn auch ein teures Vergnügen.
Was Dom Perignon noch Sorgen machte, ist auch nach 350 Jahren mit das Edelste, mit dem sich feiern lässt: Der Wein des Teufels.
#39
Staffel: 3
Veröffentlicht: 1. Februar 2021
Länge: 7:12
Text: Carsten Schwecke
Musik: Alexandre Desplat
"Das macht Spaß, anzuhören"
"Wusste ich alles nicht"
"Auf dein Wohl!"
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